Diskos von Phaistos

Diskos von Phaistos

(Autor: Wolfgang Bruckner, 30.09.2015)

Gegenstandsbeschreibung

Der Diskos von Phaistos ist eine ca. 16 cm große und zwischen 1,6 und 2,1 cm dicke Tonscheibe von unregelmäßiger Kontur. Sie ist beidseitig mit insgesamt 241 spiralförmig angeordneten Symbolen versehen, die sich aus einem Repertoire 45 verschiedenen Zeichen speisen. Da kein Objekt mit einer vergleichbaren Schrift in einer ähnlichen Form bekannt ist, bleibt der Diskos ein Unikat (vgl. Sornig 1997: 70). Zahlreiche Forscher haben mit unterschiedlichsten methodischen Ansätzen versucht, das Geheimnis der Tonscheibe zu lüften. Im Laufe der Geschichte wurde der Diskos unter anderem als Kalender, Spielbrett, Amulett und Bauernalmanach gedeutet (vgl. dazu Schulz 2008). Doch, wie es Sornig (1997:70) formuliert: »Seine [des Diskos', WB] Faszination ist ebenso ungebrochen wie seine Unlesbarkeit.«

Diskos von Phaistos, Seite A

DiskosA

Vorderseite des Diskos von Phaistos (Photo: Olaf Tausch, CC BY 3.0).

Diskos von Phaistos, Seite B

DiskosB

Rückseite des Diskos von Phaistos (Photo: Olaf Tausch, CC BY 3.0).

 

DiskosFundort

Skizze von Luigi Pernier zum Fundort des Diskos (Wikimedia Commons, Public Domain).

Entdeckung des Diskos'

Luigi Pernier, ein italienischer Archäologe, entdeckte den Diskos 1908 in der Palastanlange von Phaistos auf Kreta in Gebäude 101, Raum 8. Raum 8 ist ein rechteckiger, vier Quadratmeter großer Raum und wurde vermutlich als eine Art Depot genutzt. Der Raum hatte keine Tür und konnte nur von oben betreten werden. Neben dem Diskos wurde in demselben Raum auch ein Fragment eines Linear A-Täfelchens, Scherben von Stein- und Tongefäßen sowie Asche und Kohlenreste gefunden (vgl. Trauth 1990: 153). Die Linearschrift A ist eine alte, vom 17. bis ins 15. Jahrhundert vor Christus verwendete kretische Schrift, aus der später Linear B hervorging. Die Unterteilung geht auf Sir Arthur Evans zurück, der zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in Knossos mehrere linear beschriebene Tontäfelchen fand (vgl. und siehe Doblhofer 2000: 255). Für die Entschlüsselung des Diskos war dieser Fund bisher jedoch keine Hilfe.

 

Die Symbole des Diskos' von Phaistos

Die Zeichen auf dem Diskos von Phaistos sind spiralförmig angeordnet und durch senkrechte Striche in Gruppen von zwei bis sieben Zeichen unterteilt. Sie sind nicht geritzt, sondern durch einen Stempel in die Tonscheibe gedrückt worden. Seite A (so wird jene mit einer Rosette in der Mitte bezeichnet) weist 122 Zeichen in 31 Gruppen auf, Seite B 119 Zeichen in 30 Gruppen. Die Zeichen erinnern an kleine Piktogramme (s. Abb. oben) und stellen etwa einen Fisch, eine Taube, einen Kopf mit einem Federschmuck oder eine Hacke dar.

DiskosZeichen

Zeichen des Diskos' mit Unicode-Codierung (Wikimedia Commons, CC BY 3.0).

Eine Grundannahme bei Entschlüsselungsversuchen des Diskos ist, dass die Symbole in einer sinnvollen Ordnung stehen, die ein Geheimnis birgt; kurz gesagt, dass es sich um irgendeine Art von Schrift handelt. Der Bildwert der Zeichen deutet auf Ideogramme hin: Bei einer ideographischen Schrift (z.B. altägyptischen Hieroglyphen) entspricht ein Zeichen einem Wort. Die senkrechten Striche wären dann Grenzen syntaktischer Einheiten. Gegen eine reine ideographische Schrift spricht aber, »that no pure, non-phoneticised word-picture-writing is known for any civilized race« (Trauth 1990: 157). Außerdem ist die Anzahl an unterschiedlichen Zeichen für eine ideographische Schrift sehr gering. Möglich wäre auch eine Alphabetschrift (siehe für einen entsprechenden Deutungsversuch vor allem Ohlenroth 1996). Allerdings wäre hier die Gesamtzahl der unterschiedlichen Zeichen mit 45 wiederum sehr hoch, zumindest im Vergleich zum lateinischen Alphabet. Auch aus historischer Perspektive ist eine Alphabetschrift unwahrscheinlich, »since we are not familiar with any parallel to the degree of abstraction demanded by an alphabetic script at the assumed time of origin of the Disc [...]« (Trauth 1990: 157). Schließlich bleibt noch die These einer Silbenschrift, welche in der bisherigen Diskos-Forschung jedoch eher vernachlässigt wurde (vgl. Trauth 1990: 158). Bei einer Silbenschrift entspricht ein Zeichen einer Silbe. Die einzelnen Schriftzeichen sind dabei nicht direkt mit Bedeutung aufgeladen, sondern korrespondieren mit der Aussprache. Gegen eine Silbenschrift spricht wieder eine fehlende Referenz einer zeitgleich existierenden ähnlichen Schrift (vgl. Trauth 1990: 159). Doch gleich für welches Schriftsystem man sich als Grundlage eines Entschlüsselungsversuchs des Diskos entscheidet, es müssen noch weitere essentielle Annahmen getroffen werden. Diese betreffen vor allem die Schreib- bzw. Leserichtung und die Frage, welche Seite als Vorderseite verstanden werden kann. Für Forschungsansätze zur Klärung dieser und anderer Fragen siehe Station 4.

Dehoux, Yves, Le disque de Phaestos. Archéologie, Épigraphie, Édition critique, Index, Louvain 1977.

Doblhofer, Ernst, Die Entzifferung alter Schriften und Sprachen, Reclam 2000.

Ohlenroth, Derk, Das Abaton des Lykäischen Zeus und der Hain der Elaia. Zum Diskos von Phaistos und zur frühen griechischen Schriftkultur, Niemeyer 1996.

Rumpel, Dieter, On the Internal Structure of the Diskos of Phaistos Text, in: Glottometrika 12, hrsg. v. Hammerl, Rolf, (Quantitative Linguistics, 45), Bochum 1990, S. 131-149.

Schulz, Matthias, Völker und Reiche der Frühzeit: Die komische Scheibe, in: Spiegel Online, 29. April 2008, online: http://www.spiegel.de/spiegelgeschichte/a-550367.html [03.08.2015].

Sornig, Karl, Wohlgemuthe Bemerkungen zum Umgang mit einem nach wie vor unlesbaren Text, in: Grazer Linguistische Studien 48 (Herbst 1997), S. 69-104, online:http://static.uni-graz.at/fileadmin/gewi-institute/Sprachwissenschaft/GLS_Download/GLS_48_-_Sornig3.pdf [03.08.2015].

Taschwer, Klaus, Fortschritt bei der Entschlüsselung des Diskos von Phaistos, in: Der Standard, 3. November 2014, online: http://derstandard.at/2000007659628/Fortschritt-bei-der-Entschluesselung-des-Diskos-von-Phaistos [03.08.2015].

Trauth, Michael, The Phaistos Disc and the Devil's Advocate. On the Apories of an Ancient Topic of Research, in: Glottometrika 12, hrsg. v. Hammerl, Rolf, (Quantitative Linguistics, 45), Bochum 1990, S. 151-173.

Über die Unicode-Codierung der Symbole des Diskos', online: http://www.unicode.org/charts/PDF/U101D0.pdf [03.08.2015].

Abbildungen der Zeichen und Übertragungen der »Schrift«, online: https://de.wikipedia.org/wiki/Diskos_von_Phaistos [03.08.2015].