Informatik versus Geisteswissenschaften

Werden die Geisteswissenschaften von der Informatik überrollt?

Neue digitale Arbeitstechniken haben mittlerweile auch in den Geisteswissenschaften Einzug gehalten und ermöglichen eine neue Herangehensweise an bereits bekannte Fragestellungen aus anderen Blickwinkeln. Viele Geisteswissenschaftler schrecken jedoch davor zurück, zu viele Methoden der Informatik in ihre Forschungen zu integrieren.

In einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 19.07.2013 spricht Jan Röhnert, Literatur-Juniorprofessor der TU Braunschweig, von einem Gespenst in den Geisteswissenschaften, dem „Gespenst einer feindlichen Übernahme ihrer Fächerkultur durch die Dogmen der Informatik“  (2013: o.S.). Die Skepsis gegenüber der Informatik wird noch dadurch verstärkt, dass der Bremer Informatiker Manfred Wischnewsky einen Paradigmenwechsel in den Geisteswissenschaften fordert. Röhnert nennt es eine „Informatikgläubigkeit“ (2013: o.S.), dass Simulationen, die allein quantitativ arbeiten, bereits einen Wissenszuwachs bedeuten. So stehen sich also zwei Denkmodelle gegenüber: Das „quantitativ akkumulierende Wissen der Naturwissenschaften und Technikdisziplinen“ und das „qualitativ deutenden Denkmodell der Geisteswissenschaften“  (Röhnert 2013: o.S.).

Es bedarf eines schnellen Schulterschlusses der verschiedenen Lager, da die digitalen Methoden längst angewandt werden, obwohl die Chancen und Risiken ihrer Verwendung noch nicht vollständig dargelegt wurden. Dieser Schulterschluss funktioniert am besten, wenn Wissenschaftler mit Kenntnissen aus beiden "Kulturen" daran arbeiten, Missverständnisse abzubauen (Röhnert 2013: o.S.).

Worin genau liegt der Nutzen der Technik für die Geisteswissenschaften? Wenn riesige Datenmengen erfasst und gedeutet werden sollen, benötigt man dazu Software. Dabei soll der Kompetenzbereich der Geisteswissenschaftler nicht beschnitten sondern erweitert werden.

Beim Sommerplenum des Philosophischen Fakultätentages 2013 in Chemnitz kam man zu dem Schluss, dass die Geisteswissenschaften der Informatik keinesfalls feindlich gegenüberstehen, sie jedoch Freiheiten in Bezug auf den Umgang mit der Digitalisierung haben wollen. Die Computer können lediglich die Daten liefern, die Beurteilung und das Deuten dieser Daten bleibt weiterhin Aufgabe der Geisteswissenschaftler (Röhnert 2013: o.S.).

In dem Beitrag Wer übernimmt was? Zum Verhältnis von Digital Humanities und Geisteswissenschaften nimmt Ben Kaden Stellung zu Röhnerts Artikel. Aus seiner Sicht entsteht mit den Digital Humanities eine neue Wissenschaftsform, die geisteswissenschaftliche Themen mithilfe digitaler Methoden behandelt (Kaden 2015: o.S.). Ähnlich wie bei den Geisteswissenschaften stellt die Hermeneutik einen essentiellen Bestandteil der Digital Humanities dar. Kaden nennt die umgeleitete Unterstützung der Förderinstitutionen von den Geisteswissenschaften hin zu den Digital Humanities als eigentlichen Grund für die Ängste der Geisteswissenschaftler (2015: o.S.).

Kaden, Ben, Wer übernimmt was? Zum Verhältnis von Digital Humanities und Geisteswissenschaften, In: Libreas, vom 12.09.2013, online: https://libreas.wordpress.com/2013/09/12/digital_humanities/ [19.08.2015].

Röhnert, Jan, Die Geisteswissenschaften wehren sich gegen falsche Ansprüche der Informatik, aber setzen auf die »Digital Humanities«, In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, vom 19.07.2013, online: http://www.phft.de/presseberichterstattung/ [19.08.2015].

Forschungsstelle Digital Humanities Center der Universität Konstanz, Der Geist aus der Maschine, online: http://www.digitalhumanitiescenter.de/download/unikon57_dhc.pdf [29.08.2015].