Der Text im Mittelalter

Besonderheiten mittelalterlicher TextE

(Autor: Daniel Schneider, 15.05.2016)

Abkürzungen (Abbreviaturen)

Auch im Mittelalter versuchte man schon Zeit (und noch viel häufiger teures Pergament) beim Schreiben zu sparen. Unterschiedliche Formen von Kürzeln boten hierbei ein probates Mittel. Vor allem in lateinischen Texten wurde eine enorme Zahl an Abkürzungen und Zeichen benutzt, die aufzuschlüsseln einiger Fachkenntnis bedurfte. Viele gängige Abkürzungen können heute im Cappelli nachgeschlagen werden. Je mehr Wert auf schnelle Ausfertigung gelegt wurde (wie in Urkunden und Regesten), desto mehr dieser Abbreviaturen finden sich. In repräsentativen Werken hingegen ging man sehr sparsam mit Kurzformen um.

Initialen

Eine der bekanntesten Eigenheiten mittelalterlicher Handschriften stellt die Initiale dar. Im weiteren Sinne ist sie ein hervorgehobener Buchstabe am Beginn eines Textes oder Textabschnittes, der mehr oder minder stark verziert wurde. Die Ausgestaltung weist eine große Bandbreite auf: Die Komplexität reicht von simplen, vergrößerten Buchstaben bis zu szenischen Bildern. Es gibt sowohl einfarbige Initialen als auch mehrfarbige und mit Blattgold verzierte. Initialen können nur minimal größer sein als die Buchstaben des Fließtextes oder (mitsamt üppigem Beiwerk) eine gesamte Seite einnehmen. Auch das Spektrum an Formen ist sehr abwechslungsreich.

Lombarde: Eine einfache, farbig (meist rot oder blau) hervorgehobene Initiale. Sie kennzeichnet meist den Beginn eines Sinnabschnittes.
Feldinitiale: Eine Initiale wird vom Rest des Textes durch einen ausgestalteten Rahmen abgegrenzt. Die restliche Gestaltung unterscheidet sich stark, sodass sie gleichzeitig auch als Beispiel figürliche oder bewohnte Initialengelten können.
Rankeninitiale: Eine aus Pflanzenranken bestehende Initiale, oft auch in Verbindung mit kletternden Figuren.
Spaltleisteninitiale: Ähnlich der Rankeninitiale, aber teilweise aufgespalten und mit Bändern zusammen gehalten.

 

Figürliche Initiale: Eine ganz oder zum Teil aus Menschen (antropomorphe Initiale) oder Tieren bzw. Fabelwesen (zoomorphe Initiale) bestehende Initiale. Werden die Figuren stark gebogen, um die Form des Buchstabens zu bilden, spricht man auch von einer gymnastischen Initiale.
Bewohnte Initiale: Eine oder mehrere Figuren sind innerhalb der Initiale dargestellt. Allerdings bilden sie nicht die Form des Buchstabens nach.
Historisierende Initiale: Eine Sonderform der bewohnten oder figürlichen Initiale. Hierbei hat die Figur einen unmittelbaren Bezug zu dem Text, den die Initiale einleitet, zum Beispiel die Figur eines Heiligen zu Beginn seiner Vita.
Fleuronée: Feines, von der Initiale ausgehendes Zierwerk in Form von Ranken, Blättern und Blüten.
StA Trier, Hs. 593/1539

Eine mit Fleuronee verzierte Initiale (Stadtbibliothek und Stadtarchiv Trier, Hs. 593/1539, CC BY-SA 4.0).

Glossierung

Neben dem Haupttext einer Handschrift wurden oft Anmerkungen und Kommentare eingefügt. Hierbei spricht man von Glossen. Diese können umfangreicher sein als der kommentierte Text selbst, oder auch nur aus einem einzelnen Wort, zum Beispiel der Übersetzung eines Begriffes, bestehen. Im Gegensatz zu Randnotizen wurde für umfangreiche Glossen oft Platz im Schriftspiegel eingeplant, denn diese waren keine spontane Eingebung des Schreibers, sondern fest eingeplanter Bestandteil vor allem in Bibelabschriften und juristischen Werken. Zur Unterscheidung wurde der Kommentartext oft graphisch vom Haupttext abgehoben. Hierbei setzten sich unterschiedliche Möglichkeiten durch, Glosse und Haupttext zu arrangieren:

Kontextglosse: In dieser Form der Glosse ist der Kommentar graphisch in den Haupttext integriert und durch nur durch Farbe, Schrift oder Größe von diesem abgehoben.

Interlinearglosse: Hierbei wird der Kommentar zwischen die Zeilen des Haupttextes geschrieben. Häufig findet sich diese Art der Glossierung, wenn eine Übersetzung des Haupttextes eingefügt werden soll.

Marginalglosse: Steht der Haupttext im Zentrum der Seite und die Kommentare wurden zwischen Text und Seitenrand gesetzt, spricht man von Margnialglossen. Rahmt die Glosse den Haupttext von zwei oder drei Seiten ein, spricht man auch von einer Klammerglosse, umschließt sie ihn von allen Seiten, nennt man dies auch Schachtelglosse.

Griffelglosse: Diese Form bildet eine Besonderheit. Sie ist keine richtige Glosse, sondern oft die Randnotiz eines Lesers, der keine Tinte zur Hand hatte. Dieser nutzte einen metallenen Stift (Griffel), um seine Anmerkung ins Pergament einzudrücken, wodurch sie unauffällig, allerdings auch nur schwer zu erkennen ist.

Aber nicht jede Buchstabenfolge außerhalb des Textes ist gleich eine Glosse: Manchmal wird der Haupttext außerhalb des Schriftspiegels weitergeführt (Überlauf), zum Beispiel weil der Schreiber eine Zeile in seiner Vorlage übersprungen hat. Auch finden sich Korrekturen von Fehlern und Einfügungen von vergessenen Wörtern abseits des Schriftspiegels.

Brinker von der Heyde, Claudia, Die literarische Welt des Mittelalters, Darmstadt 2007.

Busch, Hannah; Gauer, Isabelle; Krause, Celia; Vandscheidt, Philipp, Kleine Handschriftenkunde für ‚Digital Humanists‘, Tutorial in 7 Teilen.

Jacobi-Mirwald, Christine, Das mittelalterliche Buch, Funktion und Ausstattung, Stuttgart 2004.

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