Forschungsansätze
Voynich-Manuskript
Das Voynich-Manukript ist seit seiner Entdeckung durch Wilfrid Voynich 1912 im Fokus kryptographischer Fachdiskussionen. Ähnlich wie beim Diskos von Phaistos führt fehlendes Wissen über Herkunft und Zweck des Gegenstandes zu zusätzlichen Schwierigkeiten. Ist das tatsächlich die Schrift einer natürlichen Sprache? Und was sollen diese seltsamen Abbildungen optisch ergänzen? Außerdem wird die Frage behandelt, welche Ansätze kollaborative Forschung bzw. virtuelle Forschungsumgebungen für weitere Forschungsfragen und -ansätze zum Voynich-Manuskript bereitstellen können. (Für einen umfangreichen Überblick zur Voynich-Forschung empfiehlt sich die Homepage von René Zandbergen, einem Voynich-Experten und Mitentwickler des European Voynich Alphabet).
(Autor: Wolfgang Bruckner, 30.09.2015)
Materialanalysen
Nachdem sich die Leitung der Beinecke Rare Books Library lange Zeit dagegen gewehrt hatte, wurde 2009 am Chicagoer McCrone Institute der University of Arizona eine umfassende Materialanalyse des Manuskripts durchgeführt (siehe auch Fritz 2009). Das Ergebnis der Radiokarbonanalyse zur Datierung des Manuskripts ergab, dass es mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit zwischen 1404 und 1438 entstand (vgl. Schmeh 2010). Viele Forscher standen dem Ergebnis der Untersuchung jedoch skeptisch gegenüber, weil es in keinem wissenschaftlich etablierten Medium publiziert wurde, sondern lediglich in einer populärwissenschaftlichen Fernsehdokumention der Reihe Universum des österreichischen Rundfunks (vgl. Hermes 2012: 82). Auch eine spätere Pressemitteilung der University of Arizona konnte die Untersuchung auf keine solide wissenschaftliche Grundlage mehr stellen. Dennoch wurden kurz nach Bekanntgabe der Ergebnisse bereits neue Thesen und Namen potenzieller Verfasser in die Diskussion um die Entstehung des Manuskripts eingeworfen (vgl. Schmeh 2010). Das Spekulationsrad beginnt sich von von neuem zu drehen.
Kryptographische Ansätze - Drei Grundthesen gehen kryptographischen Ansätzen zum Voynich-Manuskript (vgl. Hermes 2012: 102-111)
These 1: Der Text ist mit einem Verschlüsselungsverfahren erzeugt und kann entschlüsselt werden.
Schon kurz nach der Entdeckung des Manuskripts verkündete William Newbold, das Rätsel um das Voynich-Manuskript entschlüsselt zu haben (Newbold 1918). In Zusammenarbeit mit Wilfrid Voynich meinte er, eine an der eigentlichen Schrift angebrachte Mikroschrift in Form von Markierungen entdeckt zu haben. Die von ihm veröffentlichten Textstellen wirken allerdings sehr willkürlich, auch funktionierte Newbolds Methode nur für kleine Textstellen.
Der britische Linguist Gordon Rugg beschäftigt sich seit 1997 mit dem Manuskript. Er erstellte eine Tabelle mit willkürlichen, zufälligen Zeichenkombinationen, die er als Vor-, Mittel- oder Nachsilben neuer Wörter verwendete (vgl. Rugg 2004). Mithilfe eines Cardan-Gitters, einer Schablone, die im 16. Jahrhundert zur Verschlüsselung von Texten verwendet wurde, erhielt er eine Buchstabenfolge, die eine große Ähnlichkeit mit dem Text des Voynich-Manuskripts aufwies. Seiner Meinung nach handelt es sich bei den Texten des Voynich-Manuskripts daher um »bedeutungslose Buchstabenkolonnen« (Schmeh 2008).
2014 vermeldete der britische Sprachwissenschaftler Stephen Bax, einige Teile entziffert zu haben. Durch eine Untersuchung der linguistischen Elemente des Manuskripts meint Bax, Spuren von »Arabic, Persian, Mongol, Indian ideas and even language« gefunden zu haben (Bax 2015).
These 2: Der Text ist gar nicht verschlüsselt bzw. war Geheimhaltung keine Intention des Verfassers. Die Sprache bzw. das Schriftsystem ist lediglich unbekannt.
William Friedman, eine Koryphäe der Kryptographie, gründete 1944 und 1962 zwei Voynich-Arbeitsgruppen. Seine Versuche blieben, auch aufgrund fehlender Mittel, unergiebig. Friedmans These zur Verschlüsselung des Voynich-Manuskripts: Der Text sei in einer Kunstsprache abgefasst worden. Im Zuge seiner Entschlüsselungsversuche entstand eine Tranksription des im Manuskript verwendeten Alphabets.
These 3: Der Text besteht aus Zeichen ohne Bedeutung und kann daher nicht sinnvoll entschlüsselt werden.
Schon zu Beginn der Voynich-Forschung wurden Stimmen laut, die das Manuskript für eine Fälschung hielten. Der Text wäre somit ein unentschlüsselbares Imitat eines vermeintlich alten, mysteriösen Kodex. Hauptverdächtiger wurde Wilfrid Voynich selbst, der Zeit seines Lebens vehement versuchte, das Manuskript lukrativ zu verkaufen. Ein zweiter potenzieller Fälscher ist Edward Kelley (1555-1595). Kelley war Spiritist und Alchimist sowie Weggefährte des englischen Mathematikers und Mystikers John Dee (1527-1608/09). Der These nach hätte Kelley, dem betrügerische Geschäfte nachgesagt wurden, das Manuskript gefälscht und es über Dee an Rudolf II. verkauft. Die These stützt sich auf die Tatsache, dass sich beide am Hof Rudolfs II. aufhielten und John Dee nachweislich Schriften Roger Bacons besaß. Durch die Materialanalyse konnten beide Verdächtigen entlastet werden. Das Manuskript entstand in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts und somit lange Zeit vor Voynich und Kelley. Die These, dass das Manuskript dennoch keinen vernünftigen Text enthält, erfuhr durch den österreichischen Physiker Andreas Schinner neuen Nährboden (Schinner 2007). Er entdeckte unnatürliche Regelmäßigkeiten in der Wortfolge des Manuskripts, die in keiner bekannten natürlichen Sprache vorkommen.
Analyse der Abbildungen
Bereits 1944 veröffentlichte der Botaniker Hugh O’Neill eine Bildanalyse zu den Pflanzenzeichnungen des Voynich-Manuskripts (O'Neill 1944). Darin meinte er, einige Pflanzen identifiziert zu haben, unter anderem zwei Sonnenblumen. Das Interessante ist hierbei jedoch, dass sich sowohl Sonnenblumen als auch die anderen betreffenden Pflanzen erst nach der Entdeckung Amerikas in Europa ausbreiteten. Dies hieße, das Voynich-Manuskript wäre frühestens im späten 16. Jahrhundert oder außerhalb Europas entstanden. Eine neuere Untersuchung verortet das Manuskript in Mexiko. Ähnlichkeiten der dargestellten Pflanzen mit Illustrationen in mexikanischen Werken des 16. Jahrhunderts brachten Arthur Tucker und Rexford Talbert auf diese Spur (Tucker 2013). Sie konnten insgesamt 37 von 303 Pflanzen, sechs Tiere und ein Mineral aus dem Voynich-Manuskript identifizieren. Tucker und Talbert gehen aber noch einen Schritt weiter und vermuten, dass das ganze Manuskript in einem ausgestorbenen Dialekt einer indigenen mexikanischen Sprache verfasst ist (vgl. dazu Krichmayr 2014). Nicht nur die Pflanzen, sondern auch die abgebildeten Menschen bzw. ihre Kleidung und Haarschnitt wurden untersucht. Bezugnehmend auf die Materialanalyse und einen Entstehungszeitpunkt im frühen 15. Jahrhundert, steht die Abbildung einer Burg mit Schwalbenschwanzzinnen besonders im Fokus. Denn zum fraglichen Zeitpunkt waren diese nur in nördlichen Gebieten Italiens zu finden (siehe Schmeh 2010). Einer Verortung des Manuskripts nach Italien widerspricht dagegen, dass doppelseitiges Pergament eher in Deutschland bzw. Frankreich verwendet wurde (Schmeh 2010).
Fritz, Martin, Ein Schleier weniger über dem Voynich-Manuskript, in: Der Standard, 4. Dezember 2009, online: http://derstandard.at/1259281171438/Ein-Schleier-weniger-ueber-dem-Voynich-Manuskript [15.07.2015].
Hermes, Jürgen, Textprozessierung. Design und Applikation, (überarb. Univ. Diss. Köln, 2011), Köln 2012.
Krichmayr, Karin, Spurensuche im Voynich-Code, in: Der Standard, 8. Februar 2014, online: http://derstandard.at/1389859697159/Spurensuche-im-Voynich-Code [15.07.2015].
Newbold, William Romaine, The Cipher of Roger Bacon, in: Transactions of the College of Physicians of Philadelphia, Serie 3, Nr. 43/1918, S. 431-474.
O’Neill, Hugh, Botanical Remarks on the Voynich MS, in: Speculum, Nr. 19/1944, S. 126.
Rugg, Gordon, An Eelegant Hoax? A Possible Solution to the Voynich Manuscript, in: Cryptologia, Vol. 28, Nr. 1/2004.
Schinner, Andreas (2007): The Voynich Manuscript. Evidence of the Hoax Hypothesis. in: Cryptologia, Vol. 31, Nr. 2/2007.
Schmeh, Klaus, Codeknacker gegen Codemacher, Bochum 2007.
Schmeh, Klaus, Das Voynich-Manuskript: das Buch, das niemand lesen kann, in: Telepolis, 8. Oktober 2008, online: http://www.heise.de/tp/artikel/28/28719/1.html [03.08.2015].
Schmeh, Klaus, Neue Datierung des Voynich-Manuskripts sorgt für Aufsehen, in: Telepolis, 31. Januar 2010, online: http://www.heise.de/tp/artikel/31/31971/1.html [03.08.2015].
Tucker, Arthur O. and Rexford H. Talbert, A Preliminary Analysis of the Botany, Zoology, and Mineralogy of the Voynich Manuscript, in: HerbalGram, Nr. 100/2013, S. 70-75, online: http://cms.herbalgram.org/herbalgram/issue100/hg100-feat-voynich.html?ts=1436970233&signature=fbbf33ddfc62e61d928c115273808d1f [15.7.2015].
Bax, Stephen, Summary of my views on the Voynich Manuscript, in: stephenbax.com, 22. Juni 2015, online: https://stephenbax.net/?p=1535 [15.07.2015].
Brumbaugh, Robert Sherrick, The Most Mysterious Manuscript, the Voynich »Roger Bacon« Cipher Manuscript, Southern Illinois Univ. Pr., Carbondale Ill 1978.
Feely, Joseph Martin, Roger Bacon’s Cipher. The Right Key Found, Rochester NY 1943.
Radiointerview mit Jürgen Hermes über Computerlinguistik und das Voynich-Manuskript, online: http://www.wrint.de/2014/06/07/wr296-zum-thema-voynich-manuskript/#t=00:00[03.08.2015].
Reddy, Sravana and Kevin Knight, What We Know About the Voynich Manuscript, Proc. ACL Workshop on Language Technology for Cultural Heritage, Social Sciences, and Humanities (LaTeCH 2011), 2011, online: http://www.isi.edu/natural-language/people/voynich-11.pdf [06.09.2015].
Roitzsch, Peter, Das Voynich-Manuskript – Ein ungelöstes Rätsel der Vergangenheit, 2. Auflage, Münster 2010.