Station 5

Anwendungsszenario
FuD, Transcribo, Voynich-Manuskript

Virtuelle Forschungsumgebungen ermöglichen ein kollaboratives Arbeiten von Wissenschaftlern verschiedenster Disziplinen. So können zur Entschlüsselung historischer Gegenstände Linguisten, Kryptologen, Botaniker, Archäologen, Historiker etc. ihr Wissen bündeln und Beiträge leisten. Ein Beispiel ist das Projekt Arthur Schnitzler: Digitale historisch-kritische Edition, bei der Philologen mit Informatikern zusammenarbeiten. Gerade in der Erforschung befindliche Inhalte, die man mit Fachkollegen diskutieren möchte, können unmittelbar mit der Fachcommunity geteilt werden. Kommentare, Markierungen und Verlinkungen ermöglichen dabei einen schnellen Austausch.

(Autor: Nicolas Schenk, 09.02.2016)

Bei dem Versuch, das Voynich-Manuskript zu entschlüsseln, könnte die Nutzung einer solchen virtuellen Forschungsumgebung die Arbeit erleichtern. Gleichzeitig kann durch die Offenheit und die vielfältigen Partizipationsmöglichkeiten, die eine virtuelle Forschungsumgebung bietet, die interdisziplinäre Erschließung unterstützt werden. In dieser Station soll exemplarisch die gemeinsame Nutzung der virtuellen Forschungsumgebung FuD und des Transkriptionswerkzeugs Transcribo bei der Bearbeitung des Voynich-Manuskripts vorgestellt werden.

Für die Entschlüsselung des Diskos von Phaistos bieten sich parallele Überlegungen an.

Das Forschungsnetzwerk und Datenbanksystem (kurz: FuD) wird seit 2004 vom Forschungszentrum Europa (FZE) und dem Kompetenzzentrum für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften entwickelt. An der Entwicklung ist seit 2015 außerdem das eSciences-Center der Universität Trier beteiligt. Zu den Aufgaben von FuD gehören unter anderem die Inventarisierung und Erfassung von Primärdaten, die Erschließung und Analyse der Daten sowie die Archivierung. Hinzu kommen Möglichkeiten zur differenzierten Nutzerverwaltung (z.B. die Vergabe von verschiedenen Bearbeitungs- oder Leserechten an einzelne Nutzer) und zur Vorbereitung von Ergebnispublikationen. FuD wird beispielsweise bei der Erstellung von Editionen oder bei Digitalisierungs- und Erschließungsprojekten angewendet. Eine Liste von Projekten, die FuD einsetzen, finden Sie unter http://fud.uni-trier.de/de/community/liste-aller-fud-anwendungen/.

Im Rahmen des Projektes Arthur Schnitzler: Digitale historisch-kritische Edition wurde am Kompetenzzentrum das Transkriptionswerkzeug Transcribo entwickelt. Mit diesem Werkzeug werden Transkriptionen von Handschriften (Umschrift in computerlesbare Schrift) und Typoskripten (maschinell verfasste Texte) angefertigt und die Transkription mit zusätzlichen Informationen (z.B. Abweichungen in der Handschrift, unleserlichen Stellen oder unterschiedlichen verwendeten Tinten) angereichert. Transcribo kann mit FuD verbunden werden, sodass beide Anwendungen über eine gemeinsame SQL-Datenbank genutzt werden können. In FuD werden die Metadaten eines Dokuments erfasst (z.B. Autor, Entstehungsort und -datum, Absendeort und -datum, Umfang, aufbewahrende Institution, Rechteinhaber) und die Faksimiles hochgeladen, die anschließend mit Transcribo transkribiert werden. Hieran kann sich eine weitere inhaltliche Erschließung und Verarbeitung des Dokuments in FuD (z.B. in Form einer Verschlagwortung oder Vernetzung mit anderen Dokumenten) anschließen. Weitere Funktionen betreffen unter anderem ein differenziertes Rechtemanagement, das die Zungangsmöglichkeiten zu den verschiedenen Arbeitsmaterialien bereitstellt.

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Inventarisierungs-Ansicht in FuD (Screenshot: Nicolas Schenk, CC  BY-SA-4.0).

Im folgenden Beispiel wird eine Seite des Voynich-Manuskripts (Folio 99r) mit FuD erfasst und mit Transcribo transkribiert. Dazu legt man in FuD innerhalb der Inventarisierung ein neues Dokument an. Nach diesem Schritt erhält man die Ansicht auf der linken Seite. In dieser Ansicht kann eine Fülle an Metadaten wie beispielsweise Autor, Datum, Dokumenttyp oder Material bezüglich des betreffenden Dokuments vergeben werden. Unter dem Reiter Digitalisate wird die digitale Version des Dokuments (das digitale Faksimile) hochgeladen.

Der Screenshot auf der rechten Seite zeigt den Reiter Inventarisierung Einzelseite, unter dem man einen Sach-, Personen- und Ortsindex anlegen kann. Die in FuD eingegebenen Metadaten werden zusammen mit den damit verbundenen Dateien in einer zentralen Datenbank gespeichert, auf die man mit FuD und Transcribo zugreifen kann.

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Inventarisierung Einzelseite in FuD (Screenshot: Nicolas Schenk, CC  BY-SA-4.0).

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Transkriptionsperspektive in Transcribo  (Screenshot: Nicolas Schenk, CC  BY-SA-4.0).

Anschließend kann man in Transcribo mit der Transkription der Seite aus dem Voynich-Manuskript beginnen. Man erhält die Transkriptionsperspektive auf der rechten Seite, in der das Faksimile zu sehen ist, welches vorher in FuD hochgeladen wurde.

In der Auswahlleiste hat man die Option Transkript erzeugen und kann im linken Fenster durch das Aufziehen von Rechtecken die einzelnen Wörter, die wir transkribieren wollen, markieren. Alternativ können auch größere oder kleinere Abschnitte (Absätze, Sätze, einzelne Buchstaben) markiert und transkribiert werden. Auch polygone Transkriptionsrahmen sind möglich, was insbesondere bei unregelmäßigen Handschriften sehr vorteilhaft ist.

Nach der Markierung eines Elements öffnet sich die Maske, die hier rechts zu sehen ist. Hier gibt es unter vielen Auszeichnungsoptionen die Möglichkeit, die Transkription für das markierte Element einzugeben. In unserem Beispiel wurde als Transkriptionsgrundlage das European Voynich Alphabet (EVA) verwendet. Erstellt wurde es durch Gabriel Landini und René Zandbergen und basiert auf dem Frogguy Transcription Alphabet von Jacques Guy.

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Das Transkriptionsalphabet EVA (WolfgangRieger, Public domain).

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Maske zur Bearbeitung eines zu transkribierenden Elements in Transcribo (Screenshot: Nicolas Schenk, CC  BY-SA-4.0).

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Transkriptionsansicht nach abgeschlossener Transkription eines Abschnittes (Screenshot: Nicolas Schenk, CC BY-SA-4.0).

Nun kann man zwischen zwei Möglichkeiten wählen, den Text zu transkribieren: Entweder transkribiert man das Wort direkt nach der Markierung (sowie eben gezeigt) oder man markiert erst alle Wörter einer Zeile/eines Absatzes/einer Seite und transkribiert anschließend. (Hinweis: Je nachdem, wie die Textvorlage beschaffen ist und welche Ziele mit der Transkription verfolgt werden, muss nicht jedes einzelne Wort transkribiert werden. Es ist auch möglich, ganze Sätze oder Abschnitte in einem größeren Verbund zu transkribieren. Das kann sinnvoll sein, wenn z.B. die schnelle Herstellung eines durchsuchbaren Volltextranskripts zwecks Indexerstellung realisiert werden soll, ohne (zunächst) weitergehende philologische oder historische Forschungsinteressen zu berücksichtigen.)

Nachdem der erste Absatz transkribiert ist, sieht das Ergebnis wie hier rechts dargestellt aus. Die linke Seite zeigt das Faksimile, auf dem die zu transkribierenden Wörter oder Textabschnitte markiert werden, während auf der rechten Seite die entsprechenden Kästchen mitsamt der darin enthaltenen Transkription zu sehen sind.

Beim Abspeichern wird das Dokument in der angebundenen FuD-Datenbank abgelegt. Mit den erhobenen Daten kann dann in FuD weitergearbeitet werden, etwa indem verschiedene Register erstellt werden (z.B. Orts-, Personen-, Sach- und Körperschaftsregister ). Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, aus der Datenbank eine dynamische Webansicht für Kontroll- und Präsentationszwecke zu generieren, die unmittelbar den Fortschritt von Transkriptions- und Anreicherungsprozessen wiedergeben kann. Bei der hier vorgestellten Beispielseite des Voynich-Manuskripts sieht die Webansicht wie hier auf der linken Seite aus.

Dem Faksimile auf der linken Seite wird der transkribierte Text auf der rechten Seite gegenübergestellt. Am rechten Bildrand kann man sich unter anderem einige Metadaten anzeigen lassen, die man vorher in FuD bei der Inventarisierung erfasst hat.

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Webansicht der Seite 99r mit dem FuD-Viewer (Screenshot: Nicolas Schenk, CC BY-SA-4.0).

Perspektive

Was sollten virtuelle Forschungsumgebungen im optimalen Fall leisten können? Ideal wäre eine Plattform, auf der alle für die weitere Forschung nützlichen Materialien zu einem Forschungsobjekt zusammengetragen wird. Die Personen, die das Voynich-Manuskript erforschen, haben dann Zugriff auf den aktuellen Arbeitsstand der laufenden Forschung sowie auf bisherige Forschungsergebnisse. Eine solche Plattform könnte bei der Entschlüsselung des Manuskripts behilflich sein. Es könnte verschiedene für die bisherigen Entschlüsselungsversuche genutzten Alphabete gegenübergestellt, den Manuskript-Inhalt betreffende Thesen diskutiert und gemeinsam an der Dekodierung gearbeitet werden.

Eine multimediale Plattform stellt außerdem Fotos (z.B. von Ausgrabungen in einem archäologischen Projekt) und Videos (z.B. Aufnahmen von Podiumsdiskussionen oder Vortragsmitschnitte) zur Verfügung. Auch hinsichtlich der benutzbaren Dateiformate sollte es bei einer idealen virtuellen Forschungsumgebung möglichst wenige Restriktionen geben, allerdings aber inhaltlich begründete Empfehlungen respektive Vorgaben zu den Datenformaten zwecks Weiterverarbeitung und Langzeitarchivierung. Wünschenswert ist zusätzlich eine Kommentarfunktion, die als Grundlage für eine Diskussionsmöglichkeit dienen und somit den Austausch der am Projekt beteiligten Personen erleichtern kann.

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