Herstellung der Bücher im mittelalterlichen Skriptorium
(Autor: Daniel Schneider, 15.05.2016)
Die Herstellung von Büchern war im Mittelalter eine aufwendige Prozedur, die mit hohem Kosten- und Zeitaufwand verbunden war. Wie in allen Handwerken konnte, je nach Größe der Skriptorien, auch bei der Buchherstellung die Binnengliederung sehr hoch sein. Auf dem Weg zum fertigen Kodex legten dutzende unterschiedliche Spezialisten Hand an das Buch und seine Bestandteile an:
Pergamenter und Papiermacher stellten die notwendigen Beschreibstoffe her. Andere Handwerker lieferten die Rohstoffe für Tinte und Farben sowie Leim, Garn, Leder und Holz für die Bindung. Schreiber erstellten den Text und planten die Gestaltung der Seiten; meist geschah dies auf Wachstafeln. Kopisten schrieben diesen Text dann teils im Diktat ab, wobei mehrere gleichzeitig an einem Buch arbeiten konnten. Rubrikatoren hoben mit roter Tinte wichtige Abschnitte hervor, während Vorzeichner, Buchmaler und Illuminatoren die Seiten mit Bildern und Ornamenten verzierten. Der Buchbinder schließlich brachte alle Bestandteile zusammen. Vielleicht war auch die Hilfe eines Feinschmiedes für besonders aufwändige Beschläge nötig. Kostbare Schmuckeinbände konnten auch mit den Werken von Goldschmieden, (Elfen-)Beinschnitzern und/oder Edelsteinschleifern versehen werden.
Jedoch wurden nicht alle Bücher gleichermaßen aufwendig und planvoll hergestellt: Oft erledigte eine einzelne Person mehrere Aufgaben. Manchmal entfielen darüber hinaus Herstellungsschritte, wie beispielsweise das Anfertigen von Bildern oder das Aufbringen eines Schriftspiegels (ein System von Hilfslinien, an denen sich Schreiber und Buchmaler orientieren konnten, sodass die Zeilen nicht schief über die Seite verliefen).
Im zur Mitte des 12. Jahrhunderts entstandenen Bamberger Schreiberbild (hier links abgebildet) sind in kleinen Medaillons zahlreiche Stationen der Buchherstellung illustriert. In der linken Spalte sieht man die notwendigen Vorbereitungen: Die Feder wird zugeschnitten, Notizen auf eine Wachtafel geschrieben, Pergament abgeschabt und Holz für die Buchdeckel zurecht geschlagen. Auf der rechten Seite sieht man den Schreibvorgang selbst, das Binden des Buchblockes, das Zuschneiden des Pergaments und das Beschlagen des Deckels. Sogar das zentrale Bild zeigt noch einen Maler, der letzte Hand an die Zeichnung legt. In den runden Bildern über und unter dem vorgenannten ist die Verwendung der Bücher zum Lesen und Lehren dargestellt.
Beschreibstoffe
Das gesamte Mittelalter hindurch gehörte das Pergament (der Name leitet sich von der Stadt Pergamon ab, wo angeblich ein frühes Produktionszentrum lag) zu den wichtigsten Beschreibstoffen. Es wurde aus Tierhäuten (meistens von Ziegen, Schafen oder Kälbern) hergestellt, indem man sie sorgfältig abschabte, mit Lauge behandelte und auf Spannrahmen trocknete. Dieses Material ist sehr strapazierfähig und nahezu unbegrenzt haltbar. Es kann sogar Wasser und Feuer begrenzt standhalten, sich dabei allerdings wellen und verziehen. Der aufwendige Herstellungsprozess und der kostspielige Rohstoff machten das Material allerdings recht teuer. Dies führte dazu, dass auch Pergamentbögen mit Fehlern verwendet wurden: Risse wurden zusammengenäht und Löcher umschrieben. Auch eine Form des Recyclings wurde praktiziert: Beschriebene Blätter konnte man abschaben (Rasur) und neu beschreiben. Solche Schriftstücke bezeichnet man als Palimpsest, dessen ursprünglicher Inhalt heute mit verschiedenen Verfahren durchaus wieder sichtbar gemacht werden kann.
Als weiterer Beschreibstoff gewann das Papier seit dem 13. Jahrhundert an Bedeutung, als erste Papiermühlen in Europa eingerichtet wurden. Damals wurde Papier aus Lumpen hergestellt; diese wurden zerkleinert, gestampft und mit Wasser vermengt. Aus dem entstehenden Faserbrei wurden mit Sieben die Papierbögen geschöpft. Nach dem Trocknen und einer Behandlung mit Leim war das sogenannte Hadernpapier bereit, beschrieben zu werden. Dieser Beschreibstoff, obwohl er recht robust war, verfügte nicht über die gleiche Haltbarkeit wie Pergament und vermittelte auch nicht die gleiche Kostbarkeit. Allerdings konnte Papier im Gegensatz zu Pergament in großen Mengen und zu recht günstigen Preisen hergestellt werden.
Fast alle Kodizes sind entweder auf Pergament oder Papier geschrieben. Selten sind Kodizes aus anderen Materialien hergestellt. Einen weniger gebräuchlichen Beschreibstoff stellte der Papyrus dar. Die Staude, die das Ausgangsmaterial bildete, wuchs nur in Ägypten und auf einigen Mittelmeerinseln. Ausschließlich dort wurde das Material, das beschrieben in der Regel in Form von Schriftrollen aufbewahrt wurde, auch zu Kodizes gebunden. Außerhalb der Herstellungsregionen wurde im Mittelalter (zumindest im christlichen Kulturkreis) kaum noch Papyrus verwendet, da Pergament im Gegensatz zum schwer zu erhaltenden Papyrus fast überall hergestellt werden konnte. Noch dazu erwies es sich als wesentlich haltbarer, als Papyrus, der nur im trockenen Wüstenklima dauerhaft aufbewahrt werden konnte.
Wachs gehörte im gesamten Mittelalter wie auch schon in der Antike in Form von Tafeln, die in Buchform gebunden wurden, zu den gängigen Beschreibstoffen. Allerdings dienten diese Wachstafelbücher selten für längerfristige Aufzeichnungen: Man ritzte kurzfristige Notizen mit einem Stift hinein und konnte sie genauso leicht wieder tilgen, indem man das Wachs mit dem breiten Ende eines Griffels glattzog.
Falten, Binden, Schneiden
Um aus den großen Pergament- oder Papierbögen einen Kodex herzustellen, mussten diese zunächst gefaltet werden. Je nachdem, wie oft gefaltet wurde, entstanden unterschiedliche Formate:
Folio: einfach gefaltet, d.h. aus einem Bogen werden zwei Blätter (vier Seiten) im fertigen Band
Quart: zweifach gefaltet, d.h. aus einem Bogen werden vier Blätter (acht Seiten) im fertigen Band
Oktav: dreimal gefaltet, d.h. aus einem Bogen werden acht Blätter (16 Seiten) im fertigen Band
Die gefalteten Bögen wurden dann zugeschnitten, ineinander gelegt und zu kleinen Heften (Faszikeln) vernäht. Diese wurden übereinander gelegt und zum Buchblock verbunden.
Die Bindung wurde oft mit Pergamentstreifen verstärkt. Zuletzt wurden hölzerne Deckel zum Schutz am Buchblock befestigt und diese mit Leder oder Pergament bezogen. Der Lederüberzug konnte unterschiedliche Verzierungen tragen, von eingepressten oder geprägten Mustern bis hin zum Beschlag mit Gold und Edelsteinen.
Der Einband des Codex Aureus Epternacensis, Ende des 10. Jahrhunderts in Trier hergestellt. Der Einband wurde reich verziert: Neben dem Goldrelief wurden farbige Emaille-Täfelchen, Perlen und Edelsteine aufgebracht. Im Zentrum befindet sich eine bemalte Elfenbeinschnitzerei. Der hintere Deckel war mit vergoldeten Kupferbuckeln beschlagen und wie die Innenseite des vorderen mit buntem Seidenstoff bespannt. Zwei Silberschließen hielten den Band geschlossen.
Einteilen, Schreiben, Rubrizieren, Illuminieren
Die eigentliche Schreibarbeit erfolgte noch vor dem endgültigen Binden des Kodex. So konnten auch mehrere Kopisten an einem Band arbeiten. Hierfür wurde auf die Seiten zuerst mit Zirkel und Lineal ein Schriftspiegel aufgebracht. Dieser umfasste Hilfslinien, die den Schreibern Ränder und Zeilen vorgaben. Auf vielen Seiten so angefertigter Kodizes sind noch die Einstiche von Zirkeln und/oder die Zeilengerüste zu erkennen. Auch die Plätze für Initialen, Bilder und Glossen konnten schon ausgezeichnet werden. Manchmal finden sich auch Platzhalter oder halbfertige Bilder und Initialen. Randbemerkungen oder Zeichnungen konnten natürlich auch von einer späteren Hand in schon bestehende Werke eingefügt werden.
Zum Schreiben standen mehrere Tinten zur Verfügung: Rußtinte wurde oft verwendet, da sie einfach und günstig herzustellen war, verwischte allerdings schnell und war sehr wasserempfindlich. Die rotbräunliche Dornrindentinte war wesentlich haltbarer, allerdings aufwendig in ihrer Herstellung. Die Eisengallustinte (hergestellt u.a. aus Eisenvitriol und Galläpfeln) wurde dieser oft vorgezogen, nicht nur wegen der einfachen Herstellung, sondern auch wegen ihrer Beständigkeit und der tiefschwarzen Farbe. Ein Nachteil zeigt sich bei dieser Tinte jedoch im Hinblick auf die Konservierung: Bei Feuchtigkeit kann die eisenhaltige Tinte Säure bilden und den Beschreibstoff zersetzen. Dieser sogenannte Tintenfraß kann im Extremfall ganze Handschriften zerstören.
Neben Schwarz und Braun waren auch andersfarbige Tinten in Gebrauch. Mit am häufigsten wurden rote Tinten aus Mennige (Bleioxid) verwendet, um bestimmte Buchstaben zu Beginn eines Abschnittes oder ganze Passagen hervorzuheben. Diese Rubrizierungen dienten auch der Strukturierung des Textes, und von diesen roten (rubrum) Zeilen leitete sich das heute noch genutzte Wort „Rubrik“ ab. Für kostspieligeren Schmuck wurden auch Tinten mit Gold- oder Silberbeimengungen verwendet.
In der Buchmalerei kamen diverse Pigmente zum Einsatz. Je nach Farbe und Budget verwendete man Ruß, Knochen, farbige Erden und Mineralien wie Ocker, Bleigelb oder Grünspan, ferner Harze und Pflanzenextrakte wie Indigo, Safran und Krapp, aber auch zerstoßene Edelsteine, Blattgold und das exklusive und teure Purpur.
Der farbige Buchschmuck war wichtiger Bestandteil vieler Kodizes. Solche Abbildungen sind auch als Miniaturen bekannt, nicht wegen ihres Formates, sondern wegen der verwendeten Mennige-Pigmente (lat.: minium). Diese Bilder bergen ihrerseits eine große Vielfalt an Formen: Von den Kleinbildern, die sich in eine beschriebene Seite einfügen bis hin zu den Bildseiten, die allein einer Zeichnung gewidmet sind. Auch die Technik unterschied sich stark. Es gibt sowohl einfache Federzeichnungen, die mit der gleichen Tinte aufgebracht wurden, wie auch die Schrift, als auch aufwändige, von Spezialisten angefertigte Illuminationen mit teuren Pigmenten und Blattgold. Die Darstellungen waren dabei nicht immer statisch: Die sogenannten Registerbilder zeigen mehrere Szenen eines Handlungsverlaufes in Folge, in der Art wie es moderne Comic strips tun.
Aber nicht alle Bilder standen in direktem Zusammenhang mit dem Text. Oft finden sich Ornamente und Motive, deren wichtigste Aufgabe es war, die Seiten optisch ansprechend zu gestalten. Vor allem im Fall der Prachtbände stand hier die Opulenz sowohl in Kunstfertigkeit als auch im Materialeinsatz im Mittelpunkt.
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Zu einem der berühmtesten Palimpseste: The Archimedes Palimpsest.
Zur technischen Seite der Bildgebung: Computer Vision Lab, TU Wien.