02 Edition

Ausgaben in der Editorik

Um den Bedürfnissen ihrer Leser zu entsprechen, hat die Editionswissenschaft verschiedene Ausgabeformen hervorgebracht. Jede Editionsform ist auf die Art und den Umfangs des zu edierenden Textes zugeschnitten und kann sowohl in gedruckter als auch in digitaler Form vorliegen. Ein Überblick über die häufigsten Formen lässt die vielfältigen Möglichkeiten der Editionsarten erahnen.

(Autor: Simon Tretter, 06.02.2019)

Die historisch-kritische Ausgabe zeichnet die Entstehungsgeschichte eines Textes unter Heranziehung aller verfügbaren Textvarianten und -träger nach. Ihr Ziel ist, einen möglichst authentischen, fehlerbereinigten Text zu konstituieren. Alle überlieferten Textträger werden hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Textgenese untersucht und bewertet, woraus die unterschiedlichen Bearbeitungsstufen und eventuellen Abweichungen, Fehler oder Korrekturen ersehen werden können. Abweichende Textvarianten werden im textkritischen Apparat angegeben, der daneben auch Informationen zur Textgenese enthält. Somit werden dem Nutzer sämtliche zur Edition verwendeten Materialien und Informationen über möglicherweise vorgenommene Korrekturen der Herausgeber zur Verfügung gestellt; eine Interpretation des edierten Textes erfolgt nicht. Die historisch-kritische Ausgabe erhebt den Anspruch, eine verlässliche Grundlage für wissenschaftliches Arbeiten zur Verfügung zu stellen, ist in ihrer Erstellung jedoch oftmals sehr zeit- und kostenintensiv.

Digitale Edition Faust

Screenshot der Szene 1.1.2 in Goethes Faust (Faustedition, CC BY-NC-SA 4.0).

Screenshot eines Briefs aus der Marx-Engels-Gesamtausgabe digital (http://megadigital.bbaw.de) als Beispiel für eine Studienausgabe

Brief Friedrich Engels an Karl Marx in London (MEGAdigital, CC BY-NC-SA 4.0).

Die Studienausgabe verzichtet zugunsten der Lesbarkeit häufig auf einen umfangreichen kritischen Apparat. Dennoch bietet die Studienausgabe mit der Wiedergabe der originalen Sprachstufe des Textes und den enthaltenen Erläuterungen eine Grundlage zur weiteren wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem edierten Text. Wegen ihrer oftmals weniger hochwertigen Ausstattung und Verarbeitung sind Studienausgaben zumeist deutlich preisgünstiger zu haben als historisch-kritische Editionen.

Leseausgaben hingegen sind zum allgemeinen, nichtwissenschaftlichen Gebrauch gedacht und verzichten vollständig auf textkritische Apparate und Anmerkungen. Durch zumeist sprachlich und orthographisch modernisierte Texte sind sie vielmehr auf gute Lesbarkeit ausgerichtet. Sie erheben keinen wissenschaftlichen Anspruch und sind in der Regel nicht zitierfähig; das Vor- und ggf. auch das Nachwort des Herausgebers bieten Informationen und Erläuterungen allgemeiner Art zum Text.

Screenshot des Tagebuchs von Samuel Pepys (entnommen aus https://www.pepysdiary.com/) als Beispiel für eine Leseediton

Tagebucheintrag Samuel Pepys' (The Diary of Samuel Pepys - Daily entries from the 17th century London diary, mit freundlicher Genehmigung von Phil Gyford, weitere Copyright-Hinweise der Seite).

Screenshot Faksimile-Edition

Screenshot des Codex Sang. 60 im Faksimile-Portals der Stiftsbibliothek St. Gallen (e-codices, CC BY-NC 4.0).

Bei einer Faksimile-Ausgabe handelt es sich um eine graphische Reproduktion eines Dokuments, bei der alle äußerlichen Charakteristika der Vorlage originalgetreu abgebildet werden. Mit einer möglichst genauen Wiedergabe soll eine Schonung des Originals bei gleichzeitiger Zugänglichmachung für die breitere Forschungsöffentlichkeit gewährleistet werden. Das Herstellungsverfahren ist oftmals technisch anspruchsvoll und deshalb teuer, weshalb die Faksimilierung manchmal nur teilweise (z. B. in Form von Illustrationen oder ausgewählten Textstellen) ausgeführt wird, um die Druck- und Anschaffungskosten in vertretbaren Grenzen zu halten. Die Faksimilierung durch Digitalfotografie hat dies jedoch relativiert.

Bei sehr umfangreichen Textsammlungen – wie beispielsweise Briefwechseln oder Urkunden – empfiehlt sich die Regestenausgabe. Sie leistet keinen vollständigen Abdruck der Texte, sondern gibt deren Inhalte kurz und prägnant nach zuvor definierten Regeln zusammen mit dem Entstehungsdatum des Dokuments, darin erwähnten Personen sowie anderen inhaltlichen Informationen wieder.

Screenshot eines Regests aus den Regesta Imperii Online (http://www.regesta-imperii.de/) als Beispiel für eine Regestenedition

Das Regest Baden 1,1 n. 3215 in den Regesten der Markgrafen von Baden und Hachberg der Regesta Imperii Plus (Regesta Imperii Online, CC BY 4.0).

Screenshot des Arthur Schnitzler Portals

Screenshot des Arthur Schnitzler Portals (© Arthur Schnitzler digital).

Eine Mischform aus einigen der oben genannten Editionsarten stellt das »Arthur Schnitzler Portal« dar: Das binationale Projekt führt die über mehrere Orte verteilten Werke Arthur Schnitzlers zusammen und stellt die digitalisierten Bestände in einem Online-Archiv bereit. Mit dem so gewonnenen Material wird eine historisch-kritische Edition erarbeitet, die im Rahmen des Portals veröffentlicht werden soll. Das Portal bietet verschiedene Textansichten, vereint die Eigenschaften von historisch-kritischer, Lese- sowie Faksimileausgabe und demonstriert somit die vielfältigen Möglichkeiten einer digitalen Edition.

Diese Optionen können mithilfe digitaler Editionsmittel noch erweitert werden: Beispielsweise können bei historisch-kritischen Editionen alle herangezogenen Handschriften – sogar mit Faksimile – und Arbeitsmaterialien dargestellt werden, ohne dass dies den (Kosten-)Rahmen einer gedruckten Edition sprengen würde. Auch digitalen Faksimile-Ausgaben kann ohne größeren Produktionsaufwand eine Transkription des abgebildeten Textzeugnisses beigegeben werden. Gleichzeitig können bereits gedruckte Editionen um passende digitale Komponenten erweitert werden, ebenso wie eine Verknüpfung von digitalen Editionen untereinander sowie mit Datenbanken möglich ist.